Cover
Titel
Soldiers in Peacemaking. The Role of the Military at the End of War, 1800-present


Herausgeber
de Graaf, Beatrice; Dessberg, Frédéric; Vaisset, Thomas
Reihe
New Approaches to International History
Erschienen
London 2023: Bloomsbury
Anzahl Seiten
240 S.
Preis
$ 115.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Torsten Konopka, Potsdam

Welche Rolle spielen Militärs am (vermeintlichen) Ende eines Krieges beziehungsweise nach dessen Beendigung? Mit dieser auf den ersten Blick banal klingenden, aber bei näherer Betrachtung durchaus sinnvoll und interessant erscheinenden Frage setzt sich der Ende 2023 bei Bloomsbury erschienene Sammelband „Soldiers in Peacemaking“ auseinander. Auf rund 200 Seiten – ohne Bibliografie – vollzieht eine gute Mischung aus namhaften Autorinnen und Autoren sowie Nachwuchsforschenden einen Gang quer durch 200 Jahre Militärgeschichte.

Ausgangspunkt des Buches, das auf ein internationales Kolloquium in Paris im Jahr 2019 zurückgeht, ist die Ausgangsthese des Herausgebertrios Beatrice de Graaf, Frédéric Dessberg und Thomas Vaisset: „[T]here is no ‚sortie de guerre‘ without the military playing an intense and protracted role.“ (S. 2) Der Titelbegriff „Peacemaking“ mag den einen oder anderen Lesenden dabei aber zunächst irritieren. Er bezieht sich nämlich nicht auf die wohl gängigste Definition aus der „Agenda für den Frieden“ des damaligen VN-Generalsekretärs Boutros Boutros-Ghali von 1992.1 „Peacemaking“ in der vorliegenden Publikation wird im Unterschied zum Verständnis der Vereinten Nationen nicht als Handlungen – mit überwiegend friedlichen Mitteln – zur Beilegung eines Konflikts verstanden, sondern als zeitliche Phase des Übergangs am (vermeintlichen) Kriegsende hin zu einer wie auch immer gearteten Nachkriegsordnung. Einige der Beiträge sind allerdings bereits in der Titelgebung eher auf die Sphäre des „Peacekeeping“2 bezogen, was ein semantisches Dilemma des Sammelbandes offenbart.

Inklusive Einleitung umfasst die Publikation zwölf thematisch sehr heterogene Beiträge. Diese erstrecken sich über einen Zeitraum vom Ende der Napoleonischen beziehungsweise der Koalitionskriege 1815 über das Zeitalter der Weltkriege bis zum Ende des Kalten Krieges in Europa und dem Engagement der Vereinten Nationen (VN) im ehemaligen Jugoslawien in den 1990er-Jahren. Nach der Einleitung der Herausgebenden gliedert sich das Werk in drei thematisch getrennte Blöcke: Politisch-Militärische Beziehungen, Militär und Bevölkerung und Militär als Wissensträger. Jeder Block ist in sich locker chronologisch geordnet, wobei sich die abgedeckten Zeiträume unterscheiden. Umfasst der erste Block einen Zeitraum von 1918 bis in die 1990er-Jahre, deckt der zweite Teil Beiträge von 1815 bis in die 1940er-Jahre und der dritte Abschnitt Themen von 1815 bis in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg ab.

Unter dem Oberthema „Politisch-Militärische Beziehungen“ beschreibt Hew Strachan im ersten Beitrag die Entzweiung von Militärs und Politikern auf Seiten der Alliierten nach Unterzeichnung der Waffenstillstandsvereinbarungen von 1918. Dabei legt er dar, dass der „Friede“ in Europa aufgrund weiterer, zwischen 1919 und 1923 geführter „wars after the war“ (S. 24) eben nicht mit Abschluss der Waffenstillstände Einzug hielt. David Fitzgerald betrachtet in seinem Aufsatz die US-Debatte nach Ende des Kalten Krieges in Europa hinsichtlich einer zukünftig potenziell verstärkten personellen Teilnahme des US-Militärs an VN-Missionen (peacekeeping missions) und anderen Maßnahmen, die keinem konventionellen Krieg entsprachen. Die hoch spannende Debatte, die in erster Linie eine Identitätsfrage war und sich darum drehte, ob US-Soldaten „Kämpfer“ (violent warfighters/professional warriors) oder bewaffnete Entwicklungshelfer (armed humanitarians/citizen-soldiers) sein sollten (S. 39), ließe sich angesichts der jüngst in Deutschland ausgerufenen „Zeitenwende“ und einer geforderten Rückbesinnung auf die Fähigkeit zum Kampf auch leicht auf die Geschichte der Bundesrepublik und der Bundeswehr übertragen. Wietse Stam zeigt in seinem Kapitel eindrucksvoll, welch gegensätzliche Vorstellungen die aus Australien und Frankreich stammende militärische Führungsspitze der United Nations Transitional Authority in Cambodia (UNTAC) hinsichtlich ihrer Auftragserfüllung zur Unterstützung des kambodschanischen Friedensprozesses 1991 bis 1993 hatte. Dion Landstra und Thomas Wijnaendts van Resandt schließen den ersten Block mit einer Übersicht über die schwierige, aber aus Sicht der Autoren für das Engagement der Vereinten Nationen durchaus nützliche Arbeit der unbewaffneten VN-Militärbeobachter während der fortlaufenden Konflikte auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens Anfang der 1990er-Jahre.

Der zweite und mit drei Kapiteln etwas kürzere Block zum Thema „Militär und Bevölkerung“ beginnt mit einem lesenswerten Beitrag von Christine Haynes über die aus ihrer Sicht „first modern peacekeeping operation“ (S. 91): die Besetzung des nordöstlichen Frankreichs von 1815 bis 1818 durch europäische Mächte nach ihrem Sieg über Napoleon. Vor allem durch ihre Eigenschaften „moderation“ und „firmness“ (S. 102) hätten die ausländischen Truppen einen wesentlichen Beitrag zur Befriedung Frankreichs und Europas geleistet, der 100 Jahre später nach Ende des Ersten Weltkrieges zu Lasten der weiteren europäischen Entwicklung aber bereits wieder in Vergessenheit geraten sei. Alexandros Makris widmet sich im zweiten Aufsatz der Rolle griechischer Veteranen, die sich nach dem Ersten Weltkrieg zum Pazifismus bekannten, und beleuchtet deren Einfluss auf die weitere politische Entwicklung ihres Heimatlands. Paul Lenormand betrachtet abschließend den Einsatz militärischer beziehungsweise paramilitärischer Kräfte im Grenzgebiet der wiederhergestellten Tschechoslowakei nach Ende des Zweiten Weltkrieges und untersucht den tschechoslowakischen Versuch einer teils auf ethnische Ausgrenzung (ethnic rearrangement, S. 127) beruhenden Staatsbildung. Im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Staaten erfolgte in der Tschechoslowakei nach 1945 keine militärische De- sondern eine Mobilisierung und Remilitarisierung der Gesellschaft, die mit einem neuen Auftrag für die Streitkräfte einherging: „managing the transition from war to peace“ (S. 126).

Der dritte Abschnitt, in dem Militärs als Wissensträger am Ende kriegerischer Auseinandersetzungen im Vordergrund stehen, deckt ebenfalls eine breite Anzahl von Fallbeispielen ab, jedoch mit einem deutlichen zeitlichen Schwerpunkt auf dem frühen 19. Jahrhundert. Elena Linkova analysiert die Rolle des russischen Generals Alexei Orlov bei Verhandlungen und Friedensschlüssen mit westeuropäischen Mächten und dem Osmanischen Reich zwischen den 1820er- und 1850er-Jahren. Ein Kernanliegen ihres Beitrags ist es zu zeigen, dass „the military is often quite active in the peace process and has good training that helps in diplomacy“ (S. 139). Hélène Vencent betrachtet die Rolle französischer Marineoffiziere nach dem Wiener Kongress von 1815 bei ihrem Versuch, Frankreichs Einfluss in der Welt auszubauen, dabei in Europa aber den Frieden zu wahren. Evan Wilson beschreibt in seinem Aufsatz die Rolle britischer Veteranen aus den Napoleonischen Kriegen bei der teils gewaltsamen Eindämmung von Aufständen in Großbritannien nach 1815. Wiederholt wurde die innenpolitische Stabilität des als Siegers und ohne verheerende Schäden aus den Kriegen hervorgegangenen Königreichs auf die Probe gestellt. Da es zu dieser Zeit noch keine Bereitschaftspolizei gab, wurde das Militär mehrfach im Innern eingesetzt. Wilson konstatiert: „soldiers made poor policemen“ (S. 172). Im abschließenden Beitrag beschreibt Renaud Dorlhiac insbesondere durch die Auswertung von Aufzeichnungen damaliger Offiziere das eigenmächtige Handeln der französischen Militärbesatzer in der albanischen Region Korça während des Ersten Weltkrieges und ihren Einfluss auf die dortige Entwicklung.

Die Diversität der Aufsätze ist Stärke des Buches und Herausforderung zugleich. Jeder Beitrag steht im Grunde für sich allein, denn die breit gefächerte Auswahl an Kriegen und Handlungsorten wird weder durch einen klaren historischen Analysebegriff noch durch ein zusammenführendes Fazit miteinander in Vergleich oder zumindest in Dialog gebracht. Der in der vorliegenden Publikation lediglich eine Periode des Übergangs bezeichnende Begriff „Peacemaking“ ist allein wegen seiner semantischen Nähe zur „Agenda für den Frieden“ von 1992 und seiner politischen Konnotation zu unscharf. Lesende bleiben nach den elf durchaus interessanten, aber eben nicht stringent miteinander verbundenen Fallbeispielen daher mit ihren Lektüreeindrücken allein zurück. Kurzum, es fällt bei dem Band schwer, beitragsübergreifende Befunde zu entdecken, sieht man von der generellen Erkenntnis ab, dass Militärs nicht nur während eines Krieges, sondern auch am Ende und danach eine Rolle spielen. Diese Einsicht ist allerdings das Hauptanliegen der Herausgebenden, die mit dem Sammelband vor allem Anregungen liefern möchten und zu weiterer Forschung über diesen Sachverhalt aufrufen (S. 9f.). Militärs sollen nicht nur als Kämpfer, sondern auch als bedeutende Akteure in einer Postkonfliktsituation begriffen werden. Insofern hat der Sammelband sein Ziel erreicht. Auch wenn die teils abseitig anmutenden Fallbeispiele auf den ersten Blick vielleicht nicht bei jedem Lesenden Interesse wecken, empfiehlt es sich, jeden der Beiträge zu lesen. Denn jedes Kapitel weckt Ideen und ermuntert zu weiterer, vergleichender Forschung.

Auch stützen sich die Einzelbeiträge nicht auf die bloße Zusammenführung von Erkenntnissen der Sekundärliteratur, sondern vielfach auf Primärquellen. Insbesondere die Beiträge zur UNTAC in Kambodscha oder zum VN-Engagement in Jugoslawien bestechen durch neueste Quellenzugänge und setzen vielversprechende Standards für zukünftige historische VN-Forschung, die nach Ablauf der 30-jährigen Schutzfrist auch in Deutschland gerade erst möglich wird.

Ins Auge fällt allerdings die starke Eurozentrierung des Werkes und der mehrfache Bezug auf das Ende der Napoleonischen Kriege. Zwar werden mit den Beiträgen zur UNTAC und zur US-Peacekeeping-Debatte auch Regionen bzw. Themen außerhalb Europas abgedeckt, trotz mannigfaltiger Konfliktgeschichte fehlt aber beispielsweise ein Fallbeispiel vom afrikanischen Kontinent. Anknüpfungspunkte hätte es hier zur Genüge gegeben. Schließlich gehört die Phase einer Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration (Disarmament, Demobilization and Reintegration, DDR), die mittlerweile fester Bestandteil der meisten Friedensverträge auf dem afrikanischen Kontinent ist, eindeutig in das hier als zeitliches Fenster betrachtete „Peacemaking“.3 Der Band öffnet damit den Blick für ein noch detaillierter zu untersuchendes Forschungsfeld und bietet hierdurch wissenschaftlichen Mehrwert. Für den stolzen Preis von rund 100 Euro besitzt das Buch allerdings vermutlich für viele Studierende und Nachwuchsforschende nur geringe Attraktivität, sodass die Anschaffung wohl vorrangig wissenschaftlichen Bibliotheken vorbehalten bleibt.

Anmerkungen:
1 Dort definiert als “action to bring hostile parties to agreement, essentially through such peaceful means as those foreseen in Chapter VI of the Charter of the United Nations”. VNGV/VNSR, A/47/277_S/24111, 17.6.1992, Randnr. 20.
2 In der Agenda für den Frieden definiert als “the deployment of a United Nations presence in the field, hitherto with the consent of all the parties concerned”. Ebd.
3 Zur militärischen Integration nach Konflikten siehe u.a. Roy Licklider (Hrsg.), New Armies from Old. Merging Competing Military Forces after Civil Wars, Washington, DC 2014.

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